Es gibt Reisen und Reisen

Unsere letzten VTFridayNews waren Mitte Oktober und wir gehen jetzt auf Mitte November zu. Drei Wochen lang haben wir sie ausgelassen. Ehrlich gesagt, hätte ich sie am liebsten auch diese Woche noch ausgelassen, denn es ist die erste “normale Woche” seit dieser Zeit. Aber dann hat mich doch die Lust gepackt, Euch etwas zu schreiben. Die letzten drei Wochen waren gefüllt mit zwei Themen: Krankheit und Reisen. Heute möchte ich euch etwas zum Reisen erzählen, das nächste Mal von Krankheit.

Ich hatte die Ehre, mich Mitte Oktober auf eine tolle Frauenkonferenz nach Istanbul zu begeben und mich dort mit vielen starken, inspirirenden Frauen zu treffen. Ich war schon vor zwei Jahren mal dort wegen einer Konferenz. Schon damals haben mich die türkischen, armenischen und kurdischen Frauen stark beeindruckt. Sie haben es zurzeit ja nicht so leicht in ihrem Land und empfinden es als starke Motivation, wenn wir zusammen kommen und unbeirrt an unseren Themen der Gleichberechtigung (der Geschlechter, der Ethnien, der Religionen, der sexuellen Ausrichtung, etc.) weiterarbeiten, was zugleich auch Friedensarbeit darstellt.

Die Organisatorinnen organisierten am späten Nachmittag/Abend eine Schifffahrt auf dem Bosporus. Wir speisten dort bei wunderbarer Aussicht auf den europäischen und asiatischen Teil Istanbuls und tanzten danach auf dem Deck gemeinsam nach traditionellen Schritten, die sie uns zeigten. Ein unvergessliches Erlebnis. <br />Foto: Sissi Prader

 

Wie vielleicht einige von euch wissen, bin ich die Koordination von IAWM, dem internationalen Verein der Frauenmuseen und wir haben die Gelegenheit genutzt, in Istanbul auch die 10 Jahre Jubiläum des Netzwerkes zu feiern. Viele Vertreterinnen von Frauenmuseen haben sich in Istanbul eingefunden und wir – und nicht nur wir – haben uns als hoch inspirierende und solidarische Gruppe erlebt. So haben wir es auch mit wenig Geld – wie es halt so ist bei Frauenprojekten – weit gebracht. Neugierige können mal auf diese Seite schauen (ist allerdings nur auf Englisch).

Außerdem reiste ich mit Uli, einem unserer Söhne und Freund_innen nach Sardinien, in unsere zweite Heimat – wie es fast schon Tradition geworden ist in der Woche zu Allerheiligen. Der Süden dieser Insel ist mir schon sehr vertraut. Und so komisch es klingen mag, Südtirol und Sardinien haben für mich Vieles gemeinsam und der Unterschied besteht darin, dass die “terra sacra”, wie sie von ihren Bewohn_erinnen geheißen wird, eben auch das Meer hat, das wir ab und zu einfach brauchen.

Sardinien ist Uli und mir zur zweiten Heimat geworden. Wir sind ein paarmal im Jahr auf der Insel im Süden zu finden.
Foto: Pixabay

 

Dabei habe ich mir Zeit meines Lebens immer viele Gedanken zum Reisen gemacht. Sie kann durchaus eine Flucht sein. So erlebe ich bei einigen Menschen, dass sie sich nicht als die Schmiede ihres Glücks empfinden und den Alltag nicht so erschaffen, wie sie ihn gerne hätten und wie er sie glücklich macht. Dann wird das ganze Jahr das Glück aufgespart auf den Urlaub, den man dann anderswo hat, weil man den Alltag für diese Zeit mehr oder weniger erfolgreich vergessen/verdrängen kann.

Ich selbst bin gleich nach dem Abitur nach Paris abgehauen, weil ich damals erhoffte, dass ich damit auch alle meine ungelösten Probleme und Gefühle hinter mir lassen konnte – und das, obwohl meine Oma mir eingebläut hat, dass so ein Rucksack vollgepackt mit solchen Steinen nicht zurückgelassen werden kann. Der ist fix angeschnallt am Rücken und geht mit, egal, wohin man flieht. Den kann man nur herunternehmen und auspacken, die Inhalte konfrontieren und damit auflösen, damit der Rucksack kleiner wird.  

Den Rucksack mit unseren Gefühlen und Erfahrungen, mit unseren ungelösten Problemen tragen wir immer mit, egal wohin wir gehen…
Foto: Pixabay

 

Wie es sich für einen Neumond gehört, habe ich mich dafür gestraft 😉  Nämlich, dass ich auf meine Oma nicht gehört habe. Ich bin danach jahrelang nur mehr verreist, wenn ich einen Sinn darin erkannte. Urlaub im klassischen Sinne gehörte nicht dazu, wie etwa Zeit am Meer zu verbringen, etwas Neues anzuschauen, neue Bekanntschaften zu schließen. Nix da. Tourismus wurde zum Schimpfwort bei mir.

Bis heute habe ich – ehrlich gesagt – noch Probleme mit einer bestimmten Form des Reisens. Wenn man z.B. in ein anderes Land fährt und dort erwartet, die gleichen Speisen und Getränke wie daheim serviert zu bekommen. Wenn man sich in ein Ressort verrammelt und mit der eigentlichen Kultur des Landes gar nichts zu tun hat, außer die kommerzielle Folklore, die das Ressort einem als Kultur verkauft. Wenn die schönsten Strände und Gebiete vom Westen vereinnahmt werden, damit wir dort uns in der Sonne räkeln können, währenddem die Einheimischen schauen müssen, wie sie überleben oder überhaupt noch eine Existenzberechtigung haben. Solcher Gründe könnte ich hier noch einige anbringen, aber ich möchte ja keinen Roman, sondern einen Beitrag zum Reisen schreiben. Aber mit diesen Beispielen habe ich vielleicht schon klar genug gezeigt, um was es mir geht, nicht wahr? 

Das war für mich lange Zeit auch Synonym für Tourismus und Urlaub. Strandliegen, die wie Ölsardinen aneinandergepfercht sind. Den Strand sieht man nicht mehr, die Sicht aufs Wasser ist in Reihe 17 auch nicht mehr gegeben… Mein persönlicher Albtraum.
Foto: Pixabay

 

In dieser Nach-Paris-Zeit war es so: Ich verreiste nur, wenn irgendwo Freunde lebten, die ich besuchen wollte, oder aus beruflichen Gründen dort zu tun hatte. Mein Sonnen-Mann hat mich glücklicherweise aus dieser recht harten Haltung gegenüber dem Reisen herausgebracht. Aber auch, weil ich einen Alltag habe, der mir gefällt. Ich fliehe nicht davor, wenn ich reise.

Die Gründe zum Reisen haben sich wieder erweitert:
Nach wie vor besuche ich gerne Freunde, die ich zu meinem Glück überall auf der Welt habe.
Nach wie vor verreise ich beruflich und versuche, den einen oder anderen Tag anzuhängen, um etwas vom Ort mitzubekommen – wobei ich wiederum das Glück habe, meistens Leute vor Ort zu kennen, die mir so Einiges Sehenswertes und Sonstiges verraten.
Aber ich verreise auch, um meine Seele baumeln zu lassen, um neue Kraftorte auf dieser Welt kennenzulernen, bin neuen Menschen gegenüber offen, die mir dabei begegnen und bin dankbar, dass ich auch Erfahrungen außerhalb meines Landes machen darf, die mich bereichern und meinen Horizont erweitern.

In der Zwischenzeit bin ich der Meinung, dass gerade wir in Südtirol, die wir von Bergen umgeben sind, die nicht nur physisch, sondern scheinbar oft auch psychisch die Sicht auf den Horizont beengen, verreisen sollten. Ich bin glücklich, dass unsere Jüngeren Austauschjahre in der Schule machen, viele nach dem Abitur sich mal ein Aus nehmen, um die Welt zu bereisen, bevor sie weiter schauen, was sie tun werden, wenn sie groß sind 😉 Die Erfahrungen, die sie machen, und die verschiedenen Sprachen, Kulturen, Religionen, Sitten und Menschen, die sie dabei kennenlernen, tun ihnen für ihr späteres Leben einfach nur gut.

Vor allem für uns – den Bergleuten – ist es wichtig, nicht nur auf die Bergspitzen zu steigen, um einen Ausblick zu bekommen, sondern auch andere Landschaften – materielle und psychische – kennenzulernen.
Foto: Pixabay

 

So sehr ich meine Heimat liebe, gehört heute das Reisen beruflich wie privat zu meinem Lebensstil. Es ist zum Teil meines Alltags geworden und macht mich glücklich.

Wie seht ihr das Reisen?

 

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